Licht auf die Behandlung des weiblichen Haarausfalls
Haarausfall bei Frauen – differenzialdiagnostisch, präzise und empathisch betrachten

Wenn sich eine Patientin mit zunehmend lichtem Haar und verminderter Dichte am Oberkopf in unserer Praxis vorstellt, stehen wir zunächst vor einer wichtigen diagnostischen Herausforderung:

Handelt es sich um ein telogenes Effluvium, das typischerweise drei bis vier Monate nach einem auslösenden Ereignis einsetzt?

Liegt eine endokrinologische oder nutritive Störung wie eine Schilddrüsenunterfunktion oder ein Eisenmangel vor?

Oder zeigen sich bereits erste Zeichen einer weiblichen Form der androgenetischen Alopezie (FAGA), deren Verlauf subtiler verläuft als bei Männern?

Es ist wichtig, sicherzustellen, dass es sich bei weiblichen Patientinnen mit Haarausfall nicht um ein telogenes Effluvium handelt. DermatologInnen können schnell auf Lebensveränderungen screenen, wie z. B. starken Stress, kürzlichen Gewichtsverlust, Dosisänderungen bei Schilddrüsenmedikamenten und Ähnliches. Oft sagen Patientinnen auf die Frage, wann ihnen der Haarausfall aufgefallen ist: „März 2025“ – bei einem telogenen Effluvium typisch. Patientinnen mit androgenetischem Haarausfall berichten hingegen meist von einem allmählichen Verlust über mehrere Jahre.

Gerade die Diagnose der FAGA erfordert Erfahrung und Sorgfalt. Während Männer häufig einen deutlich sichtbaren Geheimratseck- oder Tonsurbefall aufweisen, ist das weibliche Muster weniger ausgeprägt – oft diffus, mit zentraler Ausdünnung entlang des Scheitels.

Unverzichtbar: eine gründliche diagnostische Abklärung

Die strukturierte Untersuchung umfasst:
Trichoskopie zur Beurteilung der Kopfhaut und zum Ausschluss entzündlicher oder vernarbender Alopezien, die subtil verlaufen können. 
Screening auf Triggerfaktoren wie Stress, Diäten, Gewichtsverlust oder Hormonumstellungen,
• gegebenenfalls eine Kopfhautbiopsie, insbesondere wenn klinisch eine vernarbende Komponente oder entzündliche Aktivität nicht auszuschließen ist. Ebenso wenn man sich bei der Diagnose nicht sicher ist oder die Patientin nicht bei Therapien anspricht.
Denn: Es braucht ein geschultes Auge, um Kopfhautentzündungen gegenzusteuern, die genaue Ursache des Haarausfalls zu ermitteln, Erwartungen realistisch zu setzen – und sicherzustellen, dass keine andere Diagnose übersehen wurde. Wir verstehen die Ursache des weiblichen erblich bedingten Haarausfalls noch immer nicht vollständig – sie ist multifaktoriell.
Zudem ist die Beurteilung der Kopfhaut- und Haarschaftgesundheit essenziell – insbesondere bei Patientinnen mit lockigem oder chemisch behandeltem Haar. Es sollte auf Haartypen geachtet werden, auf das Shampoo- und Pflegeverhalten, auf chemische Haarbehandlungen sowie auf die allgemeine Kopfhautgesundheit. Dort zeigen sich oft individuelle Reaktionen je nach Haartyp. Ziel ist, die Bedingungen für das Haarfollikelwachstum zu optimieren.

Therapieoptionen – evidenzbasiert, aber individuell

Während topisches Minoxidil das einzige von der EMA zugelassene Medikament zur Behandlung der weiblichen AGA ist, rücken in der Praxis zunehmend Off-Label-Therapien in den Fokus, die sowohl als Monotherapie als auch in Kombination erfolgreich eingesetzt werden.

Ein Überblick über die aktuellen Optionen:
Topisches Minoxidil (2–5 %): • Standardtherapie; wirkt durch Verlängerung der  Anagenphase. • Anwendung täglich; erste Ergebnisse meist nach 4–6  Monaten sichtbar.
Orales Minoxidil (Low-Dose, LDOM) (->Link): • Niedrig dosiert (z. B. 0,25–2,5 mg); wirkt systemisch  stärker. • Wirkt auch bei vernarbender Alopezie, da mehr Haare  gleichzeitig in der Wachstumsphase gehalten werden. • Mögliche Nebenwirkung: Hypertrichose (vermehrte  Körperbehaarung).
Spironolacton (-> Link): • Antiandrogen; vor allem bei Patientinnen mit  hormonellen Dysbalancen (z. B. PCOS). • Geeignet bei prämenopausalen Frauen mit diffuser  Ausdünnung. • Dosierung meist 50–100 mg/d.
KOK (-> Link):  Bei Frauen mit androgenetischer Alopezie (FAGA) kann  eine kombinierte Pille mit antiandrogenem Gestagen  (z. B. Drospirenon, Dienogest, Cyproteronacetat) zur  hormonellen Regulation und Reduktion freier Androgene  beitragen. • Die antiandrogene Wirkung wird durch das enthaltene Ethinylestradiol zusätzlich verstärkt (über SHBG-Erhöhung). • Nicht geeignet sind Pillen mit androgener Gestagenkomponente (z. B. Levonorgestrel, Norethisteron), da sie den Haarausfall verschlechtern können.
Topisches Finasterid (0,5 %) kombiniert mit Minoxidil 2 % (-> Link): • In Studien wirksam; Monotherapie mit Finasterid  topisch jedoch wenig effektiv.
Low-Level-Lasertherapie (LLLT) (-> Link): • Unterstützende Therapie; geringe Nebenwirkungen. • FDA-cleared, aber nicht EMA-zugelassen. Wirkung in  Studien belegt – jedoch oft unzureichende  Therapietreue bei Heimanwendung.
PRP (Plättchenreiches Plasma) und Microneedling (-> Link): • Regenerative Verfahren; können Follikelaktivität  unterstützen. • Effekt am größten in Kombination mit medikamentöser  Therapie.

Therapieentscheidungen nach Lebensphase differenzieren

Prämenopausale Frauen mit FAGA: • First Line: topisches Minoxidil + Spironolacton • Second Line: LDOM, PRP, LLLT, ggf. orale  Kontrazeptiva mit antiandrogener Wirkung • Wichtig: Kontraindikationen in Schwangerschaft/ Stillzeit beachten (Ausnahme: LLLT)
Postmenopausale Frauen mit FAGA: • First Line: topisches Minoxidil + Spironolacton oder  orales Finasterid • Second Line: LDOM, PRP, LLLT, ggf. Dutasterid  (strenge Indikationsstellung)

Realistische Erwartungen setzen – und durchhalten

Viele Patientinnen, die unter androgenetischer Alopezie leiden, sind bereit, viel zu investieren – sei es Zeit, Geld oder Geduld.
Dabei ist entscheidend:
Ergebnisse sind verzögert sichtbar, meist erst nach 4–6 Monaten.
Ästhetisch orientierte Therapien wie PRP oder LLLT sind kostenintensiver als Minoxidil – ohne Erfolgsgarantie. Wer sich eine volle Haarpracht erwartet, könnte von den Resultaten enttäuscht sein. 
Geduld und Begleitung durch eine erfahrene DermatologIn  sind der Schlüssel zur langfristigen Zufriedenheit.

Fazit

Die Behandlung des weiblichen Haarausfalls erfordert Präzision in der Diagnose, ein individuell abgestimmtes Therapieregime und eine klare, empathische Kommunikation über Möglichkeiten, Grenzen und Zeitverläufe. 
Ob Minoxidil, Spironolacton, PRP oder Laser – die Wahl der Therapie muss zur Patientin passen.
Viele Patientinnen mit erblich bedingtem Haarausfall würden alles tun, um ihr Haar zurückzubekommen. Oft kombinieren sie Behandlungen wie Laser, PRP und niedrig dosiertes orales Minoxidil (LDOM). Aber egal welche Therapie: Es dauert, bis Haare wachsen. Die Patientin muss sich mindestens vier bis sechs Monate lang auf diese Behandlungen einlassen, um Ergebnisse zu sehen. Denn am Ende geht es nicht nur um Haare, sondern auch um Lebensqualität, Selbstwahrnehmung und Vertrauen.

Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie

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