Nobelpreis 2025: Wie die Entdeckung der regulatorischen T‑Zellen unser Verständnis von Alopecia areata erweitert und den Weg zu neuen, gezielten Therapien ebnet.
Ein wissenschaftlicher Meilenstein wurde 2025 mit dem Nobelpreis für Medizin ausgezeichnet und betrifft unmittelbar auch die Haarmedizin. Denn die geehrten Forscher:innen entschlüsselten ein zentrales Steuerungselement unseres Immunsystems: die regulatorischen T-Zellen (Tregs).
Diese Erkenntnis bringt Hoffnung für Millionen Menschen mit Autoimmunerkrankungen darunter auch Betroffene mit Alopecia areata.
Was wurde genau entdeckt?
Der Nobelpreis für Physiologie oder Medizin 2025 wurde an Shimon Sakaguchi (Japan), Mary E. Brunkow (USA) und Fred Ramsdell (USA) vergeben – für ihre bahnbrechenden Arbeiten zur sogenannten peripheren Immuntoleranz.
Sie zeigten, wie das Immunsystem gezielt daran gehindert wird, den eigenen Körper anzugreifen. Im Mittelpunkt: eine besondere Gruppe weißer Blutkörperchen, die regulatorischen T-Zellen (Tregs). Ihre Aufgabe: Das Immunsystem bremsen, wenn es überreagiert oder sich gegen körpereigenes Gewebe richtet – wie bei Autoimmunerkrankungen.
Tregs: Die „Sicherheitskräfte“ des Immunsystems
Tregs sind spezialisierte CD4⁺-T-Zellen, die durch Marker wie FOXP3 und CD25 gekennzeichnet sind. Sie sorgen dafür, dass Immunantworten gezielt, aber nicht überzogen verlaufen.
Ohne Tregs drohen:
-> chronische Entzündungen
-> Gewebeschäden
-> Autoimmunreaktionen – wie sie auch bei Alopecia areata beobachtet werden.
Die Entdeckungsgeschichte: Von Maus zu Mensch
Sakaguchi (Japan) und die Geburt der Tregs: 1995 zeigte Sakaguchi, dass eine bestimmte T-Zell-Population mit CD4⁺CD25⁺ Immunreaktionen unterdrücken kann. Mäuse ohne diese Zellen entwickelten schwere Autoimmunerkrankungen. Er nannte sie: regulatorische T-Zellen .
Brunkow & Ramsdell (USA) und das FOXP3-Gen: Parallel fanden Brunkow und Ramsdell bei „scurfy“-Mäusen eine Mutation im bis dahin unbekannten Gen FOXP3. Diese Tiere entwickelten eine fatale Autoimmunerkrankung . Später zeigte sich: Die menschenbezogene Variante dieser Mutation verursacht das IPEX-Syndrom – eine lebensbedrohliche Autoimmunerkrankung bei Kleinkindern. FOXP3 wurde darüberhinaus als zentrales Steuerungsgen für Tregs identifiziert .
Was hat das mit Haarausfall zu tun?
Bei Alopecia areata zerstört das fehlgeleitete Immunsystem fälschlich die Haarwurzeln.
Mehrere Studien zeigen, dass Betroffene verminderte Treg-Zahlen und -Funktion sowohl in aktiven Herden als auch in unauffälliger Haut haben. Vor allem FOXP3⁺CD39⁺ Tregs fehlen signifikant. Dies ist eine spezielle Untergruppe, die für das Immunprivileg an Haarfollikeln verantwortlich ist. Zudem zeigte sich in experimentellen Modellen: Wenn Tregs fehlen, verlieren Haarfollikel diesen sogenannten immune privilege, also ihren Schutz vor Immunangriffen.
Therapeutische Relevanz: Von der Grundlagenforschung zur neuen Therapie
Auf Basis dieser Entdeckungen laufen derzeit weltweit über 200 klinische Studien, in denen versucht wird, regulatorische T-Zellen therapeutisch zu beeinflussen – entweder durch Stimulation (bei Autoimmunerkrankungen) oder Hemmung (bei Krebs) .
Neue Therapien: Hoffnung für Patient:innen mit Alopecia areata
1. Low-Dose Interleukin-2 (IL-2): IL-2 ist ein natürlicher Wachstumsfaktor für Tregs. In niedriger Dosierung kann es gezielt regulatorische T-Zellen fördern, ohne andere Immunzellen zu aktivieren. Pilotstudien zeigen: Teilweise Wiederwachstum bei AA nach subkutaner IL-2-Gabe .
2. REZPEG (Rezpegaldesleukin):
Aktuelle klinische Studie
Ein neu entwickelter Biologika-Wirkstoff, der gezielt den IL-2-Rezeptorkomplex aktiviert
Ziel: Tregs im Körper zu vermehren und zu stärken
Anwendung: Selbstinjektion
Geeignet für Erwachsene und Jugendliche ab 12 Jahren (≥ 40 kg) mit schwerer bis sehr schwerer Alopecia areata
Aktuell in der Phase-2b-Studie „Rezolve-AA“
Primäres Ziel: Verbesserung des SALT-Scores (Messgröße für den Schweregrad des Haarausfalls)
Ergebnisse erwartet: Dezember 2025
Fast-Track-Zulassung durch die FDA für AA und zuvor auch für atopische Dermatitis
Weitere Ansätze in Entwicklung
-> CAR-Treg-Zelltherapien – gentechnisch veränderte Tregs, um gezielt Entzündung zu dämpfen
-> Microneedle-Patches, die IL-2 lokal an die Kopfhaut abgeben
-> Treg-Expansion im Labor, Rückgabe an den Patienten zur gezielten Immunmodulation
Fazit: Warum dieser Nobelpreis für Patient:innen mit Haarausfall wichtig ist
Dieser Nobelpreis ist kein fernes Forschungsthema – er ist Grundlage für zukünftige und zum Teil bereits laufende Therapien bei Alopecia areata und anderen Autoimmunerkrankungen:
Weltweite Forschung: Mehr als 200 klinische Studien
Derzeit laufen weltweit über 200 klinische Studien, in denen Therapien getestet werden, die regulatorische T-Zellen beeinflussen – entweder um sie zu stimulieren (z. B. bei Autoimmunerkrankungen) oder um sie zu hemmen (z. B. bei Krebs).
Beteiligte Erkrankungen sind u. a.: Alopecia areata, Typ-1-Diabetes, Systemischer Lupus erythematodes (SLE), Rheumatoide Arthritis, Atopische Dermatitis, Chronisch-entzündliche Darmerkrankungen
Gibt es schon zugelassene Treg-Therapien?
Noch nicht für Alopecia areata.
Aber: Der Wirkstoff Aldesleukin (eine IL-2-Variante) ist bereits zugelassen bei metastasierendem Nierenzellkrebs und Melanom – dort allerdings in hoher Dosierung zur Aktivierung des Immunsystems.
Die niedrig dosierte IL-2-Therapie wird aktuell in zahlreichen Studien zur Treg-Stimulation bei Autoimmunerkrankungen getestet.
Die erste echte Treg-Therapie bei Alopecia areata könnte REZPEG werden – je nach Ergebnis der laufenden Studien.
Und was ist mit anderen Haarerkrankungen?
Auch bei anderen entzündlichen Haarerkrankungen wie Lichen planopilaris oder Frontale fibrosierende Alopecia (FFA) diskutieren Forschende die Rolle von Tregs. Aktuell fehlen hier noch eindeutige Beweise – aber erste Hinweise deuten darauf hin, dass ein gestörtes Gleichgewicht zwischen aktivierenden und regulatorischen T-Zellen auch hier eine Rolle spielen könnte.
Fazit: Hoffnung durch gezielte Immunmodulation
Der Nobelpreis 2025 rückt nicht nur eine bahnbrechende Entdeckung ins Licht. Er zeigt auch:
Bei Autoimmunerkrankungen wie Alopecia areata geht es nicht darum, das Immunsystem komplett zu unterdrücken, sondern es gezielt zu regulieren.
Für betroffene Patientinnen und Patienten bedeutet das:
Neue Wege, neue Medikamente – und neue Hoffnung auf eine langfristige Krankheitskontrolle.
Quellen:
Nobel Prize Popular Science Background 2025 (Karolinska Institutet)
„Regulatory T Cells and Alopecia Areata“ – Consensus Review, 2024
FDA Press Release, Nektar Therapeutics, 2025
Cohen et al., Science Immunology, 2024
Younis et al., Advanced Materials, 2024
Castela et al., JAMA Dermatology, 2014
Passeron et al., Frontiers in Immunology, 2023
Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.





