Kombinierte Antibabypille bei hormonell bedingtem Haarausfall: Wirkung, Indikation und Grenzen
Seit ihrer Einführung in den 1960er-Jahren wird die Antibabypille primär zur Empfängnisverhütung eingesetzt. Schnell zeigte sich jedoch, dass orale Kontrazeptiva auch auf Haut und Haare wirken – ein Umstand, der insbesondere für Frauen mit hormonell bedingtem Haarausfall (z. B. bei polyzystischem Ovarialsyndrom, PCOS) von Bedeutung ist. Die sogenannte kombinierte orale Kontrazeptiva (KOK) enthalten ein Östrogen (meist Ethinylestradiol) und ein Gestagen – und wirken somit doppelt auf den Hormonhaushalt.
Für wen ist die Pille geeignet?
Eine Therapie mit hormonellen Kontrazeptiva kann insbesondere in folgenden Fällen erwogen werden:
• bei Frauen mit nachgewiesener oder vermuteter Hyperandrogenämie (z. B. bei PCOS)
• bei Zyklusstörungen mit klinischen Zeichen der Androgenwirkung (z. B. Akne, Hirsutismus, androgenetische Alopezie
• bei Wunsch nach gleichzeitiger Kontrazeption und Therapie hormonell bedingter Beschwerden
Nicht geeignet ist die Pille zur Behandlung von Haarausfall bei Frauen ohne Hinweis auf hormonelle Dysregulation oder bei vorbestehender Thrombosegefährdung.
Wie wirkt die Pille auf das Haar?
Die kombinierte Pille wirkt über mehrere Mechanismen:
1. Reduktion freier Androgene durch Anstieg des Sexualhormon-bindenden Globulins (SHBG) infolge der Ethinylestradiol-Komponente.
2. Blockade der Androgenwirkung an den Haarfollikeln durch bestimmte Gestagene mit antiandrogener Aktivität (z. B. Cyproteronacetat, Dienogest, Drospirenon).
3. Zyklusstabilisierung und Modulation der hormonellen Schwankungen.
Wichtig: Nicht alle Pillen wirken gleich. Einige enthalten androgene Gestagene wie Levonorgestrel oder Norethisteron, die den Haarausfall sogar verschlimmern können. Andere wie Chlormadinonacetat, Drospirenon oder Cyproteronacetat besitzen eine antiandrogene Wirkung.
Nicht jede Pille wirkt gleich: Androgene vs. antiandrogene Gestagene
Die Wahl der Pille spielt eine zentrale Rolle: Nicht jedes Gestagen hat die gleiche Wirkung auf Haut und Haare. Einige Gestagene wirken eher androgen(also ähnlich wie Testosteron), andere antiandrogen (also hemmend auf die Wirkung männlicher Hormone). Diese Unterschiede sind besonders relevant bei Patientinnen mit androgenetischem Haarausfall.
• Präparate mit Cyproteronacetat, Drospirenon, Dienogest oder Chlormadinonacetat eignen sich besser bei androgenetischer Alopezie.
• Levonorgestrel, Norethisteron oder Gestoden können bei empfänglichen Frauen eher eine Verschlechterung des Haarausfalls bewirken.
Die Kombination mit einem Östrogen (z. B. Ethinylestradiol) verstärkt die antiandrogene Wirkung durch die SHBG-Erhöhung – dieser Effekt fehlt bei reinen Gestagenpillen.
Studienlage
Die Wirksamkeit kombinierter oraler Kontrazeptiva bei Frauen mit androgenetischer Alopezie wurde in mehreren Studien untersucht:
• In der bislang einzigen randomisierten Studie (Vexiau et al., 2002) zeigte sich, dass Minoxidil 2 % bei Frauen ohne Hyperandrogenämie wirksamer war als die Kombination aus Diane 35 (Ethinylestradiol + Cyproteronacetat) und Androcur 50 mg.
• Bei Frauen mit Hyperandrogenismus, Zyklusstörungen oder Hirsutismus kann jedoch eine Kombinationsbehandlung mit Antiandrogenen die Wirkung von Minoxidil verstärken.
• Für viele Gestagene existieren keine placebokontrollierten Studien mit standardisierten Haarzählungen.
Die Studienlage ist also uneinheitlich, aber es gibt klinische Hinweise auf einen Nutzen bei entsprechender Indikation.
Vorteile der KOK bei Haarausfall
• Senkung freier Androgene im Blut durch Erhöhung des SHBG
• zusätzliche Hemmung der Androgenwirkung durch bestimmte Gestagene
• Zyklusregulierung bei PCOS
• mögliche Verbesserung von Hautbild und Haarqualität bei entsprechender Hormonlage
Nebenwirkungen
• Erhöhtes Risiko für venöse Thromboembolien, insbesondere bei Raucherinnen, Adipositas oder Alter > 40 Jahre
• Brustspannen, Kopfschmerzen, Stimmungsschwankungen
• selten: Libidoverlust, Übelkeit, Blutdruckveränderungen
Kontraindikationen
• Thromboembolische Erkrankungen (aktuell oder in der Vorgeschichte)
• Lebererkrankungen
• hormonabhängige Tumorerkrankungen
• ungeklärte Blutungen aus der Scheide
• Migräne mit Aura
• Schwangerschaft oder Stillzeit (hier ggf. Minipille mit Drospirenon möglich)
Minipille (Gestagen-only-Präparate): Rolle bei Haarausfall?
Minipillen enthalten kein Östrogen, sondern nur ein Gestagen (z. B. Desogestrel, Drospirenon). Sie haben dadurch keine SHBG-steigernde Wirkung und entfalten in der Regel keine ausgeprägte antiandrogene Wirkung.
Einzige Ausnahme: Präparate mit Drospirenon, das eine gewisse antiandrogene Aktivität besitzt – jedoch vermutlich weniger stark als in Kombination mit Ethinylestradiol.
Minipillen können bei Östrogenkontraindikationen eine sinnvolle Alternative darstellen, z. B. bei:
• erhöhtem Thromboserisiko
• Stillzeit
• Migräne mit Aura
Fazit
Die kombinierte Antibabypille kann bei Frauen mit hormonell bedingtem Haarausfall – insbesondere bei nachweisbarer Hyperandrogenämie oder PCOS – eine sinnvolle Therapieoption sein. Besonders geeignet sind Präparate mit antiandrogener Gestagenkomponente wie Dienogest, Drospirenon oder Cyproteronacetat. Die Wirkung ist jedoch individuell unterschiedlich und tritt frühestens nach 3 bis 6 Monaten ein.
Die Minipille ist östrogenfrei und bietet weniger Einfluss auf den Hormonhaushalt – mit Ausnahme von Drospirenon-basierten Präparaten. Sie eignet sich vor allem bei Kontraindikationen gegen Östrogene.
Hinweis:
Die Entscheidung für eine hormonelle Therapie sollte stets im interdisziplinären Dialog zwischen Dermatologie und Gynäkologie erfolgen, ggf mit vorheriger hormoneller Labordiagnostik. Eine „Anti-Baby-Pille gegen Haarausfall“ ist kein Allheilmittel – kann aber bei sorgfältiger Indikationsstellung Teil eines erfolgreichen Therapiekonzepts sein.
Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.
