Haarausfall – wenn Identität in den Spiegel blickt

Es gibt kaum etwas, das Menschen so unmittelbar mit sich selbst verbindet wie ihr Haar. Haare sind mehr als ein Körpermerkmal – sie sind Teil unseres Gesichts zur Welt. Sie rahmen, wer wir sind. Und sie erzählen Geschichten über Zugehörigkeit, Stil, Kultur und Zeit. Schon in der Kindheit beginnen wir, uns über unser Aussehen, unsere Haare, unsere Gestalt zu definieren. Haare sind eng mit Persönlichkeit und Ausdruck verbunden. Wenn sie ausfallen, verlieren Betroffene nicht nur etwas Sichtbares, sondern auch ein Stück Sicherheit und Zugehörigkeit. Viele beschreiben es als Gefühl des Verlusts – vergleichbar mit anderen Formen von Trauer. Etwas, das zu einem selbst gehörte, ist plötzlich weg.

Ich erinnere mich an eine Patientin, die eines Tages sagte: „Ich will einfach wieder normal sein.“

Dieser Satz blieb. Er steht für das, was Haarausfall mit uns macht – und was Medizin manchmal übersieht: den stillen Verlust eines Selbstbildes. Menschen verlieren nicht nur Haare. Sie verlieren etwas, das sie über Jahre als selbstverständlich erlebt haben – ein Stück Normalität.

Wenn der Spiegel eine andere Geschichte erzählt

Haarausfall verändert nicht nur das Bild im Spiegel. Er verändert die Art, wie wir uns selbst wahrnehmen.

Ein Mann mit kreisrunder Alopezie sagte mir einmal: „Ich erkenne mich selbst auf Fotos nicht mehr.“ Diese Entfremdung ist nicht oberflächlich. Sie betrifft tiefe Schichten der Identität – besonders bei Erkrankungen, die sich schleichend entwickeln und sichtbar bleiben.

Und genau hier beginnt die therapeutische Verantwortung. Nicht erst dort, wo Medikamente wirken, sondern dort, wo Verunsicherung entsteht.

Was Heilung wirklich bedeutet

In der Haarsprechstunde gibt es Momente, die mich immer wieder demütig machen. Wenn jemand sagt: „Ich denke nicht mehr so oft an meine Haare.“

Dann weiß ich, dass wir etwas erreicht haben. Vielleicht ist die Haardichte nur um 3 % besser geworden. Aber das Denken hat sich verändert. Die Krankheit ist nicht mehr der Mittelpunkt. Das Leben ist es wieder. Medizin darf das nicht unterschätzen: Die Rückkehr zur Normalität ist manchmal die größte Form von Heilung.

Teamarbeit mit dem eigenen Spiegelbild

Haarausfall ist keine reine Frage von Ursache und Therapie. Es ist ein Prozess der Neuorientierung – medizinisch, emotional, manchmal auch philosophisch. Ich sehe meine Aufgabe weniger darin, „Haarwachstum zu versprechen“, sondern Menschen zu begleiten, bis sie ihr Gleichgewicht wiederfinden. Und dieses Gleichgewicht sieht bei jedem anders aus: Für die eine bedeutet es, die Ursache zu verstehen. Für den anderen, Kontrolle zurückzugewinnen. Für manche – einfach wieder in den Spiegel zu sehen, ohne zu erschrecken.

Was wir selten sagen: Haarausfall ist ein gesellschaftlicher Spiegel

Wir leben in einer Welt, die Aussehen mit Wert verwechselt. Deshalb schmerzt Haarausfall mehr, als er sollte. Aber vielleicht liegt genau hier eine Chance: Zu erkennen, dass Gesundheit nicht bedeutet, so auszusehen wie früher – sondern sich selbst wiederzuerkennen. Ich habe in meiner Praxis gelernt: Haare wachsen nicht nur auf der Kopfhaut. Manchmal wachsen sie im Inneren – als neue Stärke, als Akzeptanz, als Wissen darum, dass man mehr ist als das, was man sieht.

Schlussgedanke – Zwei Wege zur Heilung

Manchmal frage ich mich: Was ist eigentlich unser Ziel, wenn wir Haarausfall behandeln? Ist Heilung das Wiedererlangen von Haaren – das Zurückholen der äußeren Normalität? Oder beginnt Heilung dort, wo wir lernen, uns wieder ganz zu fühlen – auch wenn nicht jedes Haar zurückkehrt? Beides kann wahr sein. Denn wer sein Haar zurückgewinnt, findet oft auch ein Stück Selbstvertrauen wieder. Und wer lernt, sich ohne Haarverlust zu definieren, gewinnt eine neue Form von Freiheit. Vielleicht liegt die wahre Kunst darin, zu erkennen, welcher Typ man selbst ist. Der, der kämpft, bis jedes Haar zurück ist – oder der, der Frieden schließt und sagt: Ich bin mehr als das, was ich im Spiegel sehe.

Und vielleicht sollten wir uns alle öfter fragen:

Suchen wir Normalität – oder Ganzheit?


Ich freue mich Teil einer besonderen Initiative des Alopecia Areata Deutschland e. V. zu sein:

#MehrAlsKosmetik – Haarausfall braucht Sichtbarkeit

Diese Kampagne ist weit mehr als ein Appell – mit ihr möchten wir gezielt für das einstehen, was unsere Arbeit seit Jahren prägt: Versorgungsgerechtigkeit, Patient:innenstimmen, medizinische Anerkennung und gelebtes Empowerment.

Was wollen wir damit erreichen?
•       Öffentliche Sichtbarkeit für Alopecia areata und vernarbende Alopezien
•       Eröffnung eines neuen Vereinsschwerpunkts: vernarbende Haarerkrankungen
•       Betroffene stärken, zum Mitreden und Mitwirken einladen
•       Zeichen setzen – durch Beiträge und Botschaften aus der Mitte des Vereins

Deine / Ihre Stimme zählt – und macht den Unterschied

Ob Videobotschaft, persönliches Statement oder kurzer Textbeitrag:


Zeigen wir gemeinsam, was uns bewegt – und warum diese Kampagne wichtig ist. Warum Alopecia mehr als Kosmetik ist und mit welchen täglichen Herausforderungen wir konfrontiert sind. Denn unsere Bewerbung lebt nicht nur von Fakten, sondern auch von authentischen Stimmen, Emotionen und Engagement.

Wie können Sie mitmachen?
•       Teilen Sie Ihre Geschichte in den sozialen Medien unter dem Hashtag #MehrAlsKosmetik #MoreThanCosmetic
•       Markieren Sie Menschen, denen dieses Thema wichtig sein sollte
•       Senden Sie uns ein Grußwort, ein Zitat oder ein kurzes Video
•       Empfehlen Sie die Kampagne weiter

Wir möchten einige eurer Beiträge / Videos für die Kampagne nutzen. Dazu benötigen wir diese bis zum 22.11 an presse@kreisrunderhaarausfall.de oder markiert den AAD in sozialen Medien. Auch dort werden wir eure Beiträge sammeln.



Danke, dass Sie ein Teil dieser Bewegung sind – für Sichtbarkeit, Versorgungsgerechtigkeit und Menschlichkeit.
Wir freuen uns auf Ihre Impulse und Beiträge!

Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.

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