Frontal fibrosierende Alopezie: Eine Form des Haarausfalls, die häufiger bei gebildeten und wohlhabenden Frauen auftritt?
Neue US-Studie beleuchtet sozioökonomische Risikofaktoren
Wussten Sie, dass es eine Form von Haarausfall gibt, die mit höherer Wahrscheinlichkeit bei gebildeten und wohlhabenden Frauen auftritt?
Die sogenannte frontal fibrosierende Alopezie (FFA) ist eine vernarbende Form des Haarausfalls. Das bedeutet: Die Haarfollikel werden irreversibel zerstört – in der Regel wächst kein Haar mehr nach. Typischerweise zeigen betroffene Frauen einen Verlust der Augenbrauen sowie einen progressiven Rückgang des Haaransatzes, insbesondere an Stirn und Schläfen. Das kann zu einer optischen Vergrößerung der Stirn führen – ein Erscheinungsbild, das viele Patientinnen als entstellend und psychisch belastend erleben.
Erstmals wurde FFA 1994 vom australischen Dermatologen Steven Kossard beschrieben. Davor war diese Erkrankung in der medizinischen Literatur nicht existent. Seitdem hat die Zahl der wissenschaftlichen Publikationen rasant zugenommen: von lediglich 7 Veröffentlichungen zwischen 1994 und 1999 auf über 2000 Publikationen allein in den Jahren 2018 bis 2023. Was einst als „seltene“ Alopezieform galt, ist heute die häufigste vernarbende Alopezie weltweit.
Neue Publikation: FFA ist nicht an ethnische Zugehörigkeit, sondern an sozioökonomischen Status gebunden
Eine im Mai 2025 veröffentlichte retrospektive Kohortenstudie von Wyche, Tsang und Aguh liefert aufschlussreiche Daten. Ziel war es, herauszufinden, ob bestimmte Bevölkerungsgruppen ein höheres Risiko für FFA haben – im Vergleich zu einer anderen entzündlichen Alopezieform, der Alopecia areata (AA).
Mittels Zensusdaten und Postleitzuordnung wurden zwei Fragen untersucht:
- Spielt die ethnische Zugehörigkeit eine Rolle?
- Besteht ein Zusammenhang zwischen FFA und sozioökonomischem Status?
Die Ergebnisse waren eindeutig:
- Es gab keinen signifikanten Zusammenhang mit der ethnischen Zugehörigkeit, wenn sozioökonomische Unterschiede herausgerechnet wurden.
- Frauen aus wohlhabenden US-Postleitzahlen (gemessen am mittleren Haushaltseinkommen) hatten ein deutlich erhöhtes Risiko, eine FFA zu entwickeln.
Quelle: Wyche J, Tsang DA, Aguh C. JAAD. 2025. PMID: 40383279
Welche Rolle spielen Umweltfaktoren?
Die Daten legen nahe, dass bestimmte Expositionen oder Lebensstilfaktoren in sozioökonomisch privilegierten Gruppen die Krankheitsentstehung begünstigen könnten. Besonders im Fokus stehen:
- Kosmetische Produkte wie Anti-Aging-Cremes, Seren und Reinigungsprodukte
- Sonnenschutzmittel, insbesondere chemische UV-Filter (z. B. Oxybenzon, Avobenzon)
Hypothese: Titaniumdioxid (TiO₂)-Nanopartikel
Neben chemischen Filtern werden auch Titandioxid (TiO₂)-Nanopartikel als möglicher Umwelttrigger diskutiert:
- Historie: Titandioxid wird seit 1952 in Sonnenschutzmitteln eingesetzt; 1999 erfolgte die FDA-Zulassung für den breiten Einsatz. Mit der Nanotechnologie wurden die früher „weiß abdeckenden“ Mikropartikel so verkleinert, dass sie transparent sind, dabei aber ihre UV-Schutzwirkung behalten. Seit den 1990er-Jahren sind TiO₂-Nanopartikel in zahlreichen Sonnenschutz- und „Leave-on“-Kosmetikprodukten enthalten.
- Assoziationen: Erste Studien (Aldoori et al.) zeigten, dass Frauen mit FFA doppelt so häufig Sonnenschutzmittel verwenden wie Kontrollpersonen. Weitere Fall-Kontroll-Studien und Einzelfallberichte stützen diese Beobachtung – u. a. ein Fallbericht über Haarregeneration nach Absetzen von Sonnenschutz auf der Stirn.
- Wissenschaftliche Kontroversen: Thompson et al. konnten TiO₂-Partikel sowohl bei FFA-Patientinnen als auch bei Kontrollen in Haarproben nachweisen – ohne dass ein klarer kausaler Zusammenhang bestätigt werden konnte.
- Toxikologische Daten:
- TiO₂-Nanopartikel können Haarfollikel und Schweißdrüsen penetrieren und dort über Tage verbleiben.
- Sie sind in der Lage, oxidativen Stress, DNA-Schäden und Störungen zellulärer Signalwege auszulösen.
- In 2022 wurde TiO₂ (E171) in der EU als Lebensmittelzusatz aufgrund möglicher genotoxischer Effekte verboten.
- Für topische Kosmetika fehlen bis heute Langzeit-Sicherheitsstudien.
Was bedeutet das für Patientinnen?
Auch wenn viele Fragen offenbleiben, lässt sich aus der aktuellen Studienlage Folgendes ableiten:
- FFA betrifft heute überwiegend gebildete, postmenopausale Frauen in wohlhabenden Regionen.
- Die Erkrankung ist nicht reversibel, aber bei früher Diagnose oft stabilisierbar.
- Mineralische Sonnenschutzmittel mit Zinkoxid oder klassischem Titandioxid (ohne Nanopartikel) gelten als sicherere Alternativen.
- Ein bewusster Umgang mit stark chemisch formulierten Kosmetika und neuen Filtertechnologien wird empfohlen.
Fazit
Die frontal fibrosierende Alopezie hat in den letzten Jahrzehnten dramatisch zugenommen – insbesondere bei Frauen mit hohem Bildungs- und Einkommensniveau. Während die neue US-Studie einen klaren Zusammenhang mit sozioökonomischen Faktoren beschreibt, rücken mögliche Umwelt-Trigger wie Sonnenschutzmittel und TiO₂-Nanopartikel zunehmend in den Fokus.
Obwohl ein direkter Kausalzusammenhang bisher nicht bewiesen ist, zeigen diese Erkenntnisse: Die Ursachen von FFA sind komplex – hormonell, immunologisch, genetisch und umweltbedingt. Weitere Forschung ist dringend notwendig, um sichere Präventionsstrategien und Empfehlungen für Patientinnen zu entwickeln.
Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.
