Gibt es einen Zusammenhang zwischen der Darmflora (Mikrobiom) und Haarerkrankungen wie Lichen Planopilaris oder Alopecia areata?
Antwort:
Ja, es gibt Hinweise, dass das Mikrobiom (die Bakterienzusammensetzung im Darm) bei Autoimmunerkrankungen eine Rolle spielt.
• Studien zeigen Unterschiede in der Darmflora bei Patienten mit Alopecia Areata, Rosazea und LPP.
• Eine entzündungsfördernde Ernährung könnte das Fortschreiten beeinflussen.
Es gibt zunehmend Hinweise, dass das Mikrobiom – also die Zusammensetzung der Bakterien im Darm – eine Rolle bei entzündlichen Haut- und Haarerkrankungen wie Alopecia Areata (AA) spielt.
Was zeigt die aktuelle Forschung?
• Patienten mit Alopecia Areata zeigen Veränderungen in der Darmflora, vor allem:
• Zunahme von entzündungsfördernden Bakterien (z. B. Firmicutes)
• Rückgang nützlicher Bakterien (z. B. Bacteroides)
• Diese sogenannte Dysbiose wurde auch bei anderen Autoimmunerkrankungen gefunden (z. B. Morbus Crohn, MS, Lupus).
• Haut- und Darmmikrobiom stehen in enger Verbindung: Auch auf der Kopfhaut wurden Unterschiede in der bakteriellen Zusammensetzung bei Betroffenen beobachtet.
• In Tierversuchen konnte gezeigt werden: Ohne Darmbakterien entwickelt sich keine AA. Die Krankheit scheint also mit einem aktiven Darmmikrobiom verbunden zu sein.
• Einzelfälle berichten sogar von Haarwachstum nach einer Stuhltransplantation (z. B. bei Patienten mit C.-difficile-Infektion, die zusätzlich AA hatten).
• Im Juni 2025 startet eine erste kontrollierte klinische Studie (University of Minnesota & Columbia), in der geprüft wird, ob gezielte Mikrobiom-Therapie (in Kapselform) AA beeinflussen kann.
Was können Betroffene heute tun?
Auch wenn es noch keine klaren Therapieempfehlungen gibt, sprechen einige Expert:innen folgende unterstützende Maßnahmen an:
Mediterrane Ernährung bei Alopecia areata totalis – hilfreich, aber keine Heilung
Die mediterrane Ernährung ist bekannt für ihre entzündungshemmenden Eigenschaften, die auch für die Haar- und Kopfhautgesundheit relevant sein könnten.
Wie eine Ernährungsberaterin in einer Fachrunde erklärte:
„Die mediterrane Ernährung ist wahrscheinlich die wichtigste entzündungshemmende Diät. Sie enthält nicht nur gesunde Fette, sondern auch hochwertige Eiweißquellen mit allen essentiellen Aminosäuren – beides ist essenziell für Haarwachstum und Immunregulation.“
Was macht die mediterrane Ernährung aus?
• Fisch, Hülsenfrüchte, fermentierte Milchprodukte (z. B. Joghurt)
• Obst und Gemüse mit vielen Antioxidantien
• Nüsse mit essenziellen Fettsäuren und Spurenelementen wie Zink, Kupfer, Magnesium, Selen
• Hochwertige Eiweißquellen mit allen essentiellen Aminosäuren
Studienlage bei Alopecia areata totalisEine spanische Studie (Moreno-Arrones OM et al., Actas Dermosifiliogr., 2024) untersuchte eine modifizierte mediterrane Diät mit entzündungshemmenden Komponenten und zusätzlichem Butyrat bei Patient:innen mit Alopecia areata totalis oder universalis.
Ergebnis: Keine signifikante Wirkung auf den Haarwuchs bei diesen schweren Formen.
Das bedeutet: Selbst eine entzündungshemmende Ernährung alleine reicht bei AA totalis nicht aus, um das Fortschreiten zu stoppen oder den Haarwuchs wiederherzustellen.
Warum die Ernährung trotzdem sinnvoll sein kann:
Auch wenn sie keine Therapie ersetzt, kann die mediterrane Ernährung:
• Entzündungen im Körper „herunterregulieren“ – ein zentraler Faktor bei AA
• Nährstoffmängel verhindern, z. B. Protein, Zink, Eisen, Biotin
• Das Darmmikrobiom stabilisieren, das zunehmend mit Autoimmunreaktionen in Verbindung gebracht wird
• Den allgemeinen Gesundheitszustand verbessern, was die Wirkung medizinischer Therapien unterstützen kann
Wichtig:
• Die mediterrane Diät ist kein Heilmittel bei Alopecia areata totalis
• Sie gilt als „adjunktive Maßnahme“ – also unterstützend zur ärztlichen Behandlung
• Für eine gezielte Beratung ist die Zusammenarbeit von Dermatologin und Ernährungsberatung ideal
Fazit:
Ernährung allein heilt keine Alopecia totalis.
Aber sie kann helfen, Entzündung zu kontrollieren, Mängel zu vermeiden und das Immunsystem zu entlasten – als Teil eines ganzheitlichen Therapiekonzepts.
Es handelt sich nicht um eine „Darmkrankheit“, sondern um ein komplexes Zusammenspiel von Genetik, Immunsystem, Umwelt und ggf. Mikrobiom.
Der Darm spielt vermutlich eine größere Rolle bei Haarerkrankungen als lange gedacht. Die Forschung steht noch am Anfang – aber sie zeigt neue Wege auf, wie man Entzündungsprozesse von innen heraus beeinflussen könnte.
Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.
