Alopecia areata und das Darmmikrobiom – welche Rolle spielt die Ernährung?
Das Mikrobiom als neuer Schlüsselspieler
In den letzten Jahren mehren sich Hinweise, dass das Mikrobiom – also die Gesamtheit der Bakterien in unserem Darm – eine wichtige Rolle bei Autoimmunerkrankungen wie der Alopecia areata (AA) spielt. Veränderungen in der bakteriellen Zusammensetzung, eine sogenannte Dysbiose, finden sich sowohl im Darm als auch auf der Kopfhaut von Betroffenen.
Besonders auffällig:
• Zunahme entzündungsfördernder Bakterien (Firmicutes)
• Rückgang nützlicher Bakterien (Bacteroides)
Auch klinische Studien untermauern diesen Zusammenhang:
In mehreren aktuellen Arbeiten wurden signifikante Veränderungen des Darmmikrobioms bei Patient:innen mit Alopecia areatabeschrieben. So zeigte eine Studie im Journal of the European Academy of Dermatology and Venereology (JEADV, 2023) eine Verminderung bestimmter schützender Bakterienarten, insbesondere Faecalibacterium prausnitzii, die für ihre entzündungshemmenden Eigenschaften bekannt sind („Analysis of the gut microbiota in alopecia areata: Identification of bacterial biomarkers“).
Eine weitere Arbeit in SKIN – The Journal of Cutaneous Medicine (2020) fand parallele Dysbiosen im Haut- und Darmmikrobiom, was auf eine systemische Fehlregulation hindeutet („Characterizing the Skin and Gut Microbiome of Alopecia Areata Patients“).
Auch Studien aus China und eine Pilotstudie in JID Innovations (2023) zeigen, dass AA-Patient:innen – auch Kinder – eine deutlich veränderte bakterielle Zusammensetzung im Darmaufweisen. Zusammengenommen legen diese Daten nahe, dass das intestinale Mikrobiom nicht nur ein Begleitphänomen, sondern ein aktiver immunmodulatorischer Faktor in der Krankheitsentwicklung sein könnte.
Präklinische Belege – das Mikrobiom als notwendiger Kofaktor
Tierstudien (Wang EH & McElwee KJ. Methods in Molecular Biology, 2022) zeigen, was viele immunologische Modelle bereits vermuten ließen: Das Darmmikrobiom spielt eine besondere Rolle in der Pathogenese der Alopecia areata (AA).
Im Mausmodell wurden drei Gruppen miteinander verglichen:
• SPF-Mäuse (spezifisch pathogenfrei, mit normalem Mikrobiom)
• GF-Mäuse (germ-free, also vollständig keimfrei und ohne Mikrobiom)
• Mäuse mit Antibiotikabehandlung vor der Transplantation von AA-auslösendem Hautgewebe
Das Versuchsdesign erlaubte, die Bedeutung der intestinalen Mikrobiota für die Immunaktivierung im Haarfollikel gezielt zu untersuchen.
Ergebnisse
• Nur SPF-Mäuse entwickelten nach Transplantation von AA-Haut einen signifikanten Haarausfall.
→ Keimfreie (GF) Mäuse blieben symptomfrei (p < 0,01).
• Auch bei Mäusen, deren Mikrobiom zuvor mit Antibiotika stark reduziert wurde, kam es deutlich seltener zur Auslösung einer Alopecia areata (p = 0,0022).
• In einem dritten Experiment glich sich der Unterschied zwischen den Gruppen wieder an (p = 0,93), was die Autor:innen auf methodische Faktoren oder die Resilienz des Mikrobioms zurückführen.
Fazit
Ein intaktes Darmmikrobiom ist ein notwendiger Kofaktor für die Entstehung von Alopecia areata im Mausmodell.
Ohne Mikrobiota – oder nach starker mikrobieller Depletion – bleibt die Autoimmunreaktion gegen Haarfollikel aus oder verläuft deutlich milder.
Bedeutung für klinische Praxis und Forschung
Diese Daten liefern einen wichtigen Hinweis darauf, dass Darmbakterien immunologisch aktiv an der Entstehung von AA beteiligt sind. Eine Dysbiose – also eine Veränderung der mikrobiellen Zusammensetzung – könnte somit ein Trigger oder Verstärker der Erkrankung sein.
Auch einzelne Fallberichte deuten an, dass nach einer Stuhltransplantation (FMT) bei anderen Erkrankungen plötzlich Haare wieder nachwachsen können (Rebello et al., ACG Case Rep J., 2017; Xie et al., World J Clin Cases, 2019; George et al., Scientific Reports, 2021; Putterman & Castelo-Soccio, J Am Acad Dermatol, 2018).
Im Juni 2025 startete die erste kontrollierte klinische Studie(University of Minnesota & Columbia), in der gezielte Mikrobiom-Kapseln zur Behandlung von AA getestet werden.
Für die Zukunft bedeutet das:
• Strategien zur Mikrobiom-Modulation (z. B. Ernährung, Probiotika oder FMT) könnten neue therapeutische Perspektiven eröffnen.
• Gleichzeitig unterstreichen die Ergebnisse die systemische Natur der Erkrankung – AA ist nicht nur eine lokale Entzündung der Kopfhaut, sondern Ausdruck einer gestörten Immunbalance.
Ernährung als unterstützender Faktor – kein Wundermittel, aber wertvoll
Auch wenn Ernährung keine Heilung bei Alopecia areata bringt, kann sie Entzündungsprozesse dämpfen und Nährstoffmängeln vorbeugen. Besonders im Fokus: die mediterrane Ernährung.
Mediterrane Ernährung – entzündungshemmend gedacht
Die mediterrane Ernährung gilt als die wichtigste entzündungshemmende Ernährungsweise.
Sie zeichnet sich aus durch:
• Fisch, Hülsenfrüchte, fermentierte Milchprodukte
• viel Obst und Gemüse mit Antioxidantien
• Nüsse mit Spurenelementen wie Zink, Kupfer, Magnesium, Selen
• hochwertige Eiweißquellen mit allen essentiellen Aminosäuren
Eine spanische Studie (Moreno-Arrones OM et al., 2024) konnte bei Alopecia totalis/universalis allerdings keinen Einfluss auf den Haarwuchs nachweisen. Dennoch kann die mediterrane Ernährung sinnvoll sein: Sie stabilisiert das Mikrobiom, beugt Mängeln vor und unterstützt das Immunsystem.
Bisher gibt es keine systematischen Studien, die den Einfluss der in Deutschland gebräuchlichen Ernährungsformen – also Mediterrane Ernährung, Low-Carb-/Keto-Diät, Intervallfasten, Vegetarische Ernährung, Vegane Ernährung, Autoimmunprotokoll und DASH-Diät – auf die Alopecia areata untersucht haben.
Vitamin D – nur nützlich bei Mangel
Zahlreiche Studien zeigen: Menschen mit Alopecia areata haben häufiger einen Vitamin-D-Mangel.
• Wenn ein Defizit vorliegt und gezielt ausgeglichen wird, profitieren die Patienten.
• Ohne Mangel ist eine zusätzliche Einnahme nicht wirksam.
Eine einfache Blutuntersuchung klärt, ob eine Substitution sinnvoll ist.
Zink – gezielt substituieren
Auch beim Spurenelement Zink gilt:
• Nachgewiesener Mangel → Substitution kann den Verlauf günstig beeinflussen.
• Ohne Mangel bringt eine zusätzliche Einnahme keinen Nutzen.
Gluten und Zöliakie – ein Sonderfall
Eine klare Ausnahme ist die Zöliakie:
• Studien zeigen, dass bis zu 60 % der Zöliakie-Betroffenen eine Besserung ihrer Alopecia areata durch eine glutenfreie Diät erleben (Ertekin et al., Indian J Dermatol, 2014).
• Ohne Zöliakie gibt es dagegen keine Evidenz, dass der Verzicht auf Gluten etwas verändert.
Fazit – Ernährung als Baustein, nicht als Therapieersatz
• Alopecia areata ist keine „Darmkrankheit“, sondern das Ergebnis eines komplexen Zusammenspiels von Genetik, Immunsystem, Umweltfaktoren und möglicherweise dem Mikrobiom.
• Ernährung kann unterstützen, aber nicht heilen.
• Am besten belegt sind:
• Vitamin D – Substitution nur bei Mangel sinnvoll
• Zink – Nutzen nur bei nachgewiesenem Defizit
• Glutenfrei – Nur bei gesicherter Zöliakie wirksam
• Mediterrane Ernährung – entzündungshemmend und gesundheitsfördernd, aber keine Heilung
Darüber hinaus könnte das Darmmikrobiom künftig nicht nur ein therapeutischer Angriffspunkt, sondern auch ein diagnostischer Marker werden – etwa zur Einschätzung von Krankheitsaktivität, Therapieansprechen oder Rückfallrisiko. Erste Studien deuten darauf hin, dass charakteristische Veränderungen der bakteriellen Zusammensetzung („bakterielle Signaturen“) künftig helfen könnten, Alopecia-Subtypen oder Verlaufsformen besser zu unterscheiden.
Mein Fazit
Die Forschung zum Mikrobiom steckt noch in den Anfängen, gewinnt jedoch rasant an Bedeutung.
Mehrere Studien belegen inzwischen, dass AA-Patient:innen Veränderungen im Darmmikrobiom aufweisen, die das Immunsystem beeinflussen können.
Deshalb können wir derzeit zwar keine evidenzbasierten Alltagsempfehlungen geben – wohl aber festhalten:
Eine ausgewogene, entzündungsarme Ernährung, die Mängel vermeidet und auf Unverträglichkeiten eingeht, unterstützt das Immunsystem und kann Teil eines ganzheitlichen Therapiekonzepts sein.
Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.
