Vernarbende Alopezie & Krebsrisiko – Was wir wissen sollten

Bei meinem Vortrag im Rahmen der Quartalsfortbildung der LMU München am 12. November 2025 habe ich das Thema bewusst hervorgehoben: Zwischen vernarbenden Alopezien und einem erhöhten Hautkrebsrisiko besteht ein klinisch relevanter Zusammenhang.

Vernarbende Alopezien sind chronisch-entzündliche Erkrankungen der Kopfhaut, die zu einem dauerhaften Verlust der Haarfollikel führen. In den letzten Jahren zeigt die Forschung zunehmend: Das entzündliche Milieu dieser Erkrankungen kann das Risiko für bestimmte Hautkrebsformen erhöhen.

Im Folgenden finden sich die Hintergründe und ein Überblick darüber, welche Formen vernarbender Alopezien ein erhöhtes Risiko zeigen, welche Mechanismen dahinterstehen und wann besondere Wachsamkeit notwendig ist.

Warum kann vernarbende Alopezie Krebs begünstigen?

Alle vernarbenden Alopezien haben gemeinsame Merkmale:
chronisch entzündliches Mikromilieu
Gewebeschädigung, Atrophie und Vernarbung
Zerstörung des Haarfollikels als Schutzstruktur
erhöhte UV-Empfindlichkeit vernarbter Haut

Diese Faktoren schaffen Bedingungen, unter denen Plattenepithelkarzinome (SCC) und Basalzellkarzinome (BCC)entstehen können – insbesondere an der Kopfhaut.

Eine große Übersichtsstudie (Lee et al., 2025) bestätigt:
In mehreren vernarbenden Alopezien wurden Hautkrebsfälle beschrieben. (Quelle: Skin Appendage Disorders 2025;11:424–431)

1. Erkrankungen mit gesichert erhöhtem Krebsrisiko

Discoider Lupus erythematodes (DLE)
Beim DLE ist der Zusammenhang seit Jahrzehnten eindeutig:
• SCC tritt häufig 6–30 Jahre nach Diagnose auf.
• 7,4 % der DLE-assoziierten SCC entstehen an der Kopfhaut.
• Besonders gefährdet: hypopigmentierte, atrophische, UV-geschädigte Plaques.
DLE gilt als klar etablierte Hochrisiko-Erkrankung für Plattenepithelkarzinome.

Erosive pustulöse Dermatitis (EPD) – Hochrisikoerkrankung mit „50/50-Regel“
EPD betrifft überwiegend ältere Menschen mit stark lichtgeschädigter Kopfhaut.
Sie weist eine besonders enge Verbindung zu Hautkrebs auf.
Die „50/50-Regel“ bei EPD
50 % der Patientinnen und Patienten hatten bereits vor EPD einen Hautkrebs.
50 % entwickeln nach EPD einen Hautkrebs.
50 % der nachfolgenden Tumoren entstehen innerhalb von drei Jahren.
• Von denen, die nach EPD Hautkrebs entwickeln, hatten 50 %auch davor einen Tumor.

EPD ist eine Hochrisiko-Erkrankung für Hautkrebs.
Merksatz zur Vorsorge: EPD = „Every Patient Deserves surveillance“
Jeder EPD-Patient benötigt lebenslange, regelmäßige Hautkrebsvorsorge.
Klinische Merkmale, die Wachsamkeit erfordern

EPD zeigt typischerweise:
• dicke Krusten, Erosionen, teils großflächig
• Auftreten auf sonnenbelasteten, vorgeschädigten Regionen
• kann optisch einem Hautkrebs ähneln
• ist eine Ausschlussdiagnose – Hautkrebs muss immer sicher ausgeschlossen werden

Weshalb ist das Risiko so hoch?
• UV-Schäden + chronische Entzündung + Barriereversagen
• viele Patientinnen sind bereits tumorgefährdet
• EPD und Hautkrebs können nebeneinander bestehen
EPD ist daher eine Erkrankung, die konsequente, engmaschige Kontrolle erfordert.

2. Erkrankungen mit möglichem oder diskutiertem Krebsrisiko
Lichen planopilaris (LPP)
Retrospektive Daten zeigen:
SCC bei 1,7–1,8 %
BCC bei 4,5–4,7 %

Auffällig:
Es wurden Tumoren beschrieben, die in sonnengeschützten Bereichen entstanden – ein Hinweis, dass chronische Entzündung eine entscheidendere Rolle spielt als UV-Licht.

Folliculitis decalvans (FD)
Bislang sind vier Fälle von SCC dokumentiert – alle bei langjährigem, teils jahrzehntelangem Verlauf der Erkrankung.
Auch hier:
→ Wiederholte Entzündung + Zerstörung = tumorbegünstigendes Milieu.

3. CCCA & Brustkrebs – Hinweise, aber keine gesicherte Evidenz
Zu CCCA (Central Centrifugal Cicatricial Alopecia) gibt es neue, aber noch unbestätigte Hinweise.
Eine Studie (2021) fand:
• Frauen mit CCCA hatten ein dreifach erhöhtes Brustkrebsrisiko.
• 5 % der betroffenen Frauen hatten Brustkrebs vs. 1,8 % der Kontrollgruppe.
Wichtige Einschränkung: • Diese Daten wurden bisher von keiner zweiten Arbeitsgruppe reproduziert.

Biologische Plausibilität
Einige Frauen mit CCCA zeigen: PADI3-Mutationen, die in Studien mit einem erhöhten Risiko für Brust- und Darmkrebs assoziiert sind.
Dadurch besteht eine theoretische Logik, aber kein Beweis.
Klinische Konsequenz: keine Panik – aber sensibel beobachten
• International: „Wait-and-see“, kein abweichendes Screening empfohlen.
• Diskutiert wird, ob Frauen mit CCCA zwischen 42–48 Jahren früher zur Brustkrebsfrüherkennung sollten – bislang kein Konsens.
• Screening nach regulären Leitlinien
• Bei Patientinnen mit zusätzlichem Risikoprofil (Familiengeschichte, BRCA-Mutationen, früher Erkrankungsbeginn) → niedrigere Schwelle für die Abklärung.

Warum spielt Entzündung eine zentrale Rolle?
Die Auswertung aller verfügbaren Daten zeigt:
• PatientInnen mit vernarbender Alopezie und Hautkrebs waren nicht hochgradig immunsupprimiert.
• Die entscheidende Gemeinsamkeit ist die langjährige Entzündung.
• Tumoren entstanden auch in sonnengeschützten Bereichen.
• Patienten mit Alopecia areata, die vergleichbare Steroide erhalten, zeigen kein erhöhtes Hautkrebsrisiko.
Die Tumorentstehung hängt nicht von der Therapie ab, sondern vom entzündlichen Krankheitsmilieu.

Wann sollten PatientInnen besonders aufmerksam sein?
Warnzeichen, die ärztlich abgeklärt werden sollten:
• neue Knoten oder verhärtete Hautbereiche
• Krusten, die nicht abheilen
• Erosionen oder Wunden, die länger als 4 Wochen bestehen
• neu auftretende, flächige Verhornungen
• Blutungen, Nässen oder rasche Veränderung vernarbter Areale

Insbesondere bei EPD, DLE und langjähriger LPP gilt:
Niedrige Schwelle zur dermatologischen Abklärung.
Vorsorge – ein entscheidender Bestandteil der Betreuung

Unabhängig von der spezifischen Form der vernarbenden Alopezie sind folgende Schritte zentral:
regelmäßige Hautkrebsvorsorge (mindestens jährlich, bei Hochrisiko halbjährlich)
Aufklärung über Warnsignale
gut dokumentierte Kontrolle aktiver oder vernarbter Areale
bei EPD: besonders engmaschige Überwachung aufgrund der 50/50-Regel

Fazit

Bei vernarbenden Alopezien wie dem diskoiden Lupus erythematodes (DLE) und der erosiven pustulösen Dermatitis (EPD) besteht ein klar erhöhtes Hautkrebsrisiko. Für Lichen planopilaris (LPP) und Folliculitis decalvans (FD) weisen Daten auf ein möglich erhöhtes Risiko, insbesondere bei langem, chronischem Verlauf hin. Bei der CCCA gibt es Hinweise auf ein erhöhtes Brustkrebsrisiko – eine belastbare Evidenz liegt jedoch bislang nicht vor.

Zentral ist: Die chronische Entzündung, nicht die Therapie, ist der entscheidende Mechanismus. Daher gehört eine strukturierte Vorsorge zu jeder modernen Alopezie-Betreuung. Bei EPD gilt der Merksatz EPD ( „Every Patient Deserves surveillance“ )unterstreicht: Jede Patientin und jeder Patient braucht engmaschige Kontrolle.

Ein entscheidender, oft übersehener Umkehrschluss:

Nicht nur vernarbende Alopezien können das Hautkrebsrisiko erhöhen, auch in der Hautkrebsprävention können wir die allerersten Zeichen vernarbender Alopezien entdecken.

Gerade in der Hautkrebsvorsorge und Nachsorge fallen uns frühe subtile Veränderungen auf, die Patientinnen selbst nicht wahrnehmen können:
• fehlende Haaröffnungen,
• vereinzelte verbliebene Haare,
• glänzende, atrophische Areale,
• feine Rötungen und Schuppen um Haarfollikel.

Für uns sind dies glasklare Frühwarnsignale

Früh erkannt bedeutet: Follikel schützen, Progression verhindern.
Darum gehört die Kopfhautuntersuchung immer zur vollständigen Hautkrebsvorsorge dazu.

Quellen

• Lee J, de Gregorio L, Tosti A. Scarring Alopecia and Risk of Skin Cancer. Skin Appendage Disorders. 2025;11:424–431.

• Mufti A et al. Squamous cell carcinoma in discoid lupus. JAAD Int. 2021.

• Larkin SC et al. Lichen planopilaris in women. Mayo Clin Proc. 2020.

• Yip L et al. SCC arising in folliculitis decalvans. Br J Dermatol. 2008.

• Negbenebor N et al. Nonmelanoma skin cancer & EPDS. Dermatol Ther. 2022.

Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.

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