Rückblick: Erste Selbsthilfegruppe für vernarbenden Haarausfall
Ein Abend voller Austausch, Information und gemeinsamer Perspektiven
Am 25. September 2025 fand die erste Sitzung der neuen Selbsthilfegruppe für vernarbenden Haarausfall statt – organisiert unter dem Dach des Alopecia Areata Deutschland e. V. Was als Idee für ein offenes Gespräch begann, entwickelte sich zu einem intensiven und bewegenden Abend – geprägt von fundierter Aufklärung, persönlichem Austausch und spürbarem Zusammenhalt.
Wer war dabei?
Rund 30 Betroffene aus ganz Deutschland nahmen teil – Frauen und Männer mit unterschiedlichen Verläufen und Diagnosen. Vertreten waren unter anderem:
• Frontale fibrosierende Alopezie (FFA)
• Lichen planopilaris (LPP)
• Folliculitis decalvans (FD)
• sowie unklare Fälle mit Verdacht auf vernarbende Formen
Die Gruppe war heterogen – im Hinblick auf Alter, Krankheitsdauer, Diagnosestatus und Erfahrungsstand. Genau diese Vielfalt machte den Austausch besonders bereichernd.
Mit dabei war auch eine weitere sehr geschätzte ärztliche Kollegin, deren fachlich-klare und zugleich zugewandte Präsenz ein starkes Zeichen setzte:
Haarerkrankungen gehören nicht an den Rand der Versorgung. Sie verdienen medizinische Aufmerksamkeit.
Haarerkrankungen auf dem Vormarsch – ist es nicht Zeit, genauer hinzuschauen?
In den letzten Jahren hat sich das Bild deutlich gewandelt:
Vernarbende Alopezien wie die FFA oder der LPP nehmen nicht nur zahlenmäßig zu, sie treten auch in veränderter Form auf – längst nicht mehr nur bei postmenopausalen Frauen, sondern zunehmend auch bei jüngeren Frauen und Männern.
FFA gilt heute weltweit als häufigste vernarbende Alopezie. Diese Entwicklung ist Ausdruck eines tiefgreifenden Wandels – immunologisch, hormonell und umweltbedingt – und spiegelt, was wir auch im Praxisalltag beobachten:
Wir sprechen nicht mehr über Einzelfälle, jedoch über seltene Erkrankungen
Wir sprechen über ein dynamisches Krankheitsbild, das systemisches Denken und frühes Handeln erfordert.
„Das ist nicht nur ein kosmetisches Problem“ – das wurde deutlich
Im Gespräch wurde schnell klar, wie gravierend die Auswirkungen vernarbender Alopezien auf das Leben der Betroffenen sind.
Nahezu alle Teilnehmenden berichteten über eine deutlich eingeschränkte Lebensqualität, begleitet von Kontrollverlust, Scham, sozialem Rückzug – und dem Wunsch, endlich gesehen zu werden. Gleichzeitig wurde spürbar: Diagnose schafft Entlastung – und Aufklärung gibt Handlungsspielraum.
Dass Haarausfall oft mehr ist als ein lokales Symptom, belegen auch die Daten aus aktuellen Studien:
• 68 % der Betroffenen hatten ≥ 1 metabolische Erkrankung
• 56,6 % wiesen einen Vitamin-D-Mangel auf
• 49,3 % litten an atopischen Erkrankungen
• 35,7 % an Depression oder Angststörungen
• 20 % zeigten autoimmune Begleiterkrankungen
• Signifikant häufiger traten Hypothyreose, Anämien, Myome oder Brustkrebs auf
Diese Zahlen verdeutlichen:
Wir brauchen ein medizinisch fundiertes, systemisch orientiertes Verständnis von Haarerkrankungen – weit über das Kosmetische hinaus.
Was uns als Ärzt:innen besonders betrifft: Späte Diagnosen – vermeidbare Folgen
Scarring- und nicht-scarring Alopezien können sich im Frühstadium klinisch ähneln. Ohne gezielte Diagnostik – Trichoskopie, Biopsie, strukturierte Anamnese – ist eine Fehleinschätzung naheliegend. Die Folge:
Späte Diagnosen und irreversible Verläufe.
Um das zu ändern, braucht es:
• mehr trichologische Fortbildung für Dermatolog:innen in Deutschland
• klare, nachvollziehbare Diagnosepfade
• und eine interdisziplinäre Perspektive, die auch internistische und psychosomatische Aspekte einbezieht
Wir verfügen heute über deutlich mehr Wissen als noch vor fünf oder zehn Jahren – und das müssen wir aktiv weitergeben. Internationale Kongresse wie der EADV 2025 in Paris zeigen, wie dynamisch sich das Feld entwickelt – nun ist es an uns, dieses Wissen in die Versorgung zu bringen.
FFA – wenn Kosmetik zum Risiko wird
Auch das Thema Lifestyle-Trigger wurde im Rahmen des Treffens thematisiert – insbesondere im Zusammenhang mit FFA. Zur Sprache kamen:
• intensive Anwendung von Kosmetika und Hautpflegeprodukten
• bestimmte chemische UV-Filter in Sonnenschutzmitteln
• invasive ästhetische Behandlungen wie Laser, Phenol-Peelings oder Facelifts
Bei bestehender FFA gelten viele dieser Maßnahmen heute als absolute Kontraindikation – denn sie können die Entzündung verstärken und die Krankheitsprogression beschleunigen.
-> Aufklärung, Prävention und informierte Entscheidungen sind hier zentraler Bestandteil ärztlicher Verantwortung.
Selbsthilfe – kein Ersatz, sondern tragende Säule
Die Gespräche an diesem Abend haben eindrücklich gezeigt, was Selbsthilfe leisten kann:
Raum schaffen für ehrliche Gespräche, die in der Sprechstunde oft zu kurz kommen. Verständnis ermöglichen, wo Sprache und Diagnosen fehlen. Gemeinschaft herstellen, wo Isolation herrscht.
Selbsthilfe ist kein Konkurrenzmodell zur medizinischen Behandlung – sie ist ein Bindeglied. Und sie ist Ausdruck dessen, was moderne Medizin mittragen sollte: Auf Augenhöhe mit Patient:innen sprechen.
Warum eine Selbsthilfegruppe für vernarbenden Haarausfall?
Weil wir in der Haarsprechstunde zunehmend Patient:innen sehen, die monatelang – oft jahrelang – auf der Suche nach Antworten sind.
Viele der seelischen und sozialen Fragen, die damit einhergehen, lassen sich in einer 15-Minuten-Sprechstunde nicht auffangen.
Deshalb war es mir ein Herzensanliegen, diese Gruppe gemeinsam mit dem Alopecia Areata Deutschland e. V. ins Leben zu rufen.
Mein Dank gilt dem Verein für seine Unterstützung und jahrzehntelanges Engagement.
#MehrAlsKosmetik – eine notwendige Botschaft
Noch immer werden Haarerkrankungen – insbesondere vernarbende Alopezien – zu oft als „kosmetisches Problem“ abgetan.
Die Folgen sind gravierend:
• Therapien werden nicht erstattet
• Betroffene fühlen sich nicht ernst genommen
Und weil sich Haarausfall in vielen Fällen wie ein schleichender Kontrollverlust anfühlt.
• Ärzt:innen zögern bei Diagnostik und Behandlung – mit fatalen Folgen
Denn: Wird die Entzündung nicht gestoppt, kommt es zur Zerstörung der follikulären Stammzellen – und damit zu irreversibler Narbenbildung.
Haarverlust ist kein Lifestyle-Thema.
Es ist eine medizinisch ernstzunehmende Erkrankung mit systemischer Relevanz.
Danke & Ausblick
Ich danke allen Teilnehmenden für ihr Vertrauen, ihre Offenheit und den ehrlichen Austausch.
Ich danke dem AAD e. V. für die Organisation und für das klare Signal:
Haarerkrankungen gehören erhört.
Das war erst der Anfang.
Weitere Treffen sind in Planung.
Wenn Sie teilnehmen oder sich informieren möchten – melden Sie sich gerne beim Alopecia Areata Deutschland e. V.
Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.
