Off-Label-Use – was heißt das eigentlich?

In der dermatologischen Praxis – insbesondere in der Behandlung von Haarausfall – begegnet man häufig sogenannten Off-Label-Anwendungen. Ein prominentes Beispiel ist orales Minoxidil in niedriger Dosierung zur Therapie der androgenetischen Alopezie.

1. Was bedeutet „off-label“? „Off-Label“ bedeutet, dass ein Medikament nicht für die konkrete Anwendung bei der Zulassungsbehörde registriert wurde – nicht, dass es verboten oder unsicher wäre.
Bezogen auf Minoxidil heißt das: Der Wirkstoff ist in Deutschland als blutdrucksenkendes Mittel in hoher Dosierung (10–40 mg/Tag)zugelassen. Die Anwendung in niedriger Dosierung (z. B. 0,25–5 mg/Tag) bei Haarausfall ist nicht Bestandteil der Zulassung, wird aber zunehmend weltweit in spezialisierten Haarkliniken eingesetzt – auf Grundlage einer wachsenden Zahl klinischer Studien.

2. Warum gibt es keine offizielle Zulassung für Haarerkrankungen? Die fehlende Zulassung durch Behörden wie BfArM oder EMAbedeutet nicht, dass diese Anwendung „verboten“ wäre – sondern lediglich, dass kein pharmazeutischer Hersteller bislang ein Zulassungsverfahren für diese Indikation beantragt oder abgeschlossen hat.
In Deutschland ist Off-Label-Use rechtlich zulässig, wenn
• die Anwendung medizinisch notwendig ist,
• eine ausreichende Datenlage vorliegt,
• die Patientin oder der Patient nach Aufklärung einwilligt.
Dies ist in § 73 des Arzneimittelgesetzes (AMG) sowie durch Empfehlungen der Bundesärztekammer und des G-BA geregelt.

3. Ist Off-Label gefährlich?
Nicht per se. Entscheidend ist:
• eine sorgfältige Nutzen-Risiko-Abwägung
• eine individuelle Risikoabschätzung
• eine informierte Einwilligung
• eine ärztliche Verlaufskontrolle
Die Entscheidung liegt in Deutschland bei der behandelnden Ärztin bzw. dem behandelnden Arzt – auf Basis medizinischer Evidenz und Verantwortung.

4. Was ist mit den Nebenwirkungen? In sozialen Medien kursieren z.B. immer wieder Beiträge, die auf mögliche Herz-Nebenwirkungen bei Minoxidil hinweisen – teils gestützt auf nicht existente Studien. So wurde z. B. eine Arbeit von Albaladejo-Vicente et al. zitiert, die keinerlei Bezug zu Minoxidil hatte. Solche Falschinformationen schüren unbegründete Ängste.
Was sagen belastbare Daten?
Eine internationale Multicenter-Studie mit 1404 Patient:innen(Pirmez et al., JAAD Int., 2021) zeigte:
• 0,9 %: Tachykardie
• 1,3 %: Wassereinlagerungen
• 1,7 %: Blutdruckveränderungen
Diese Nebenwirkungen waren überwiegend mild und reversibel. Schwere kardiale Ereignisse wurden nicht beobachtet.

5. Was bedeutet das für die Praxis? Die Entscheidung für eine Off-Label-Therapie wie z.B. orales Minoxidil erfordert:
• ärztliches Fachwissen
• Erfahrung mit Haarerkrankungen
• transparente Aufklärung
• sorgfältige Verlaufskontrolle

Sie ist:
keine Standardlösung für jede:n
nicht für Selbstmedikation geeignet
• aber: eine evidenzbasierte Option für ausgewählte Patient:innen

Zusammengefasst:
Off-Label bedeutet: nicht zugelassen – aber auch nicht verboten.
In Deutschland ist die ärztliche Anwendung außerhalb der Zulassung rechtlich erlaubt, wenn sie medizinisch begründet ist und unter ärztlicher Kontrolle erfolgt.
Z.B. Orales Minoxidil in niedriger Dosierung ist derzeit nicht formell zur Behandlung von Haarausfall zugelassen, aber in der Trichologie ein gut untersuchtes und verantwortungsvoll einsetzbares Mittel – mit klar definierter Indikation, dokumentierter Sicherheit und individueller ärztlicher Begleitung.

Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie.

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