Ein Randbereich mit interdisziplinären Überschneidungen
Haar- und Kopfhauterkrankungen sind oft keine rein dermatologischen Probleme – sie entstehen an den Schnittstellen vieler Fachgebiete. Genau hier, im sogenannten Randbereich der Medizin, beginnt das Arbeitsfeld bei Haarerkrankungen.
Haarausfall oder Kopfhautveränderungen können Symptome ganz unterschiedlicher Störungen sein – hormonell, immunologisch, ernährungsbedingt oder sogar psychosomatisch. Entsprechend vielfältig ist die diagnostische Herangehensweise:
Ein spezialisierter Blick auf das Haar bedeutet, den ganzen Menschen im Blick zu haben.
Zahlreiche medizinische Disziplinen müssen berücksichtigt werden:
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- Dermatologie: Haut- und Kopfhauterkrankungen, die die Haarfollikel betreffen, sind von zentraler Bedeutung für Haarausfall .
- Endokrinologie: Hormonelle Einflüsse, wie z.B. Schilddrüsenstörungen oder hormonelle Ungleichgewichte (z.B. bei PCOS), spielen eine wesentliche Rolle bei Haarausfall.
- Immunologie: Autoimmunerkrankungen wie Alopecia Areata, bei denen das Immunsystem die Haarfollikel angreift, sind ein zentrales Thema in der Haarsprechstunde.
- Ernährungsmedizin & Gastroenterologie: Magen-Darm-Erkrankungen wie Zöliakie oder andere Malabsorptionsstörungen bleiben oft lange unentdeckt – das Haar reagiert früh.
- Psychologie/Psychiatrie: Stress, psychische Belastungen und psychische Erkrankungen wie Depressionen können Haarausfall verstärken. Haarspezialisten arbeiten oft mit Psychologen zusammen, um diese Dimension des Haarausfalls zu berücksichtigen.
- Pharmakologie: Da viele Behandlungen für Haarausfall auf Medikamenten basieren (z.B. Minoxidil oder JAK-Inhibitoren), muss ein Haarspezialist fundierte Kenntnisse über Wirkstoffe und ihre Anwendung haben.
- Genetik: Vererbbare Haarerkrankungen (z. B. AGA, Monilethrix) und neue genetische Assoziationen (z. B. bei FFA) erfordern differenzierte Betrachtung, um individuelle Behandlungspläne zu entwickeln.
- Ernährungswissenschaften: Ein Mangel an wichtigen Nährstoffen wie Eisen, Zink oder Vitaminen kann Haarausfall verursachen. Haarspezialisten berücksichtigen den Ernährungszustand ihrer Patienten und passen die Behandlung entsprechend an.
- Kardiologie: Bestimmte Herzmedikamente oder kardiovaskuläre Erkrankungen können Haarausfall als Nebenwirkung haben. Haarspezialisten berücksichtigen diese Faktoren bei der Diagnose und Behandlung.
- Onkologie: Krebspatienten, die Chemotherapie oder andere Behandlungen durchlaufen, leiden häufig unter Haarausfall. Haarspezialisten helfen dabei, das Haarwachstum nach der Therapie zu unterstützen.
- Geriatrie: Altersbedingter Haarausfall erfordert spezialisierte Ansätze, um den speziellen Bedürfnissen älterer Patienten gerecht zu werden.
- Pädiatrie: Auch Kinder können unter Haarausfall leiden – oft mit ganz anderen Ursachen und Therapiebedürfnissen.
Diese Verflechtung vieler Fachgebiete ist eine der größten Herausforderungen – und gleichzeitig der größte Reiz dieses medizinischen Feldes. Haarspezialisten müssen sich sicher zwischen verschiedenen Disziplinen bewegen, Zusammenhänge erkennen und auch dort weiterdenken, wo Leitlinien oder Standardpfade aufhören
Dabei gilt: Haarerkrankungen verlaufen oft unvorhersehbar. Sie entziehen sich festen Kategorisierungen. Der therapeutische Erfolg erfordert daher nicht nur Fachwissen, sondern auch Erfahrung, diagnostische Offenheit und die Fähigkeit, dynamisch zu reagieren.
Das Besondere an der Trichologie liegt in ihrer Grenzenlosigkeit: Es gibt keinen fest definierten Endpunkt. Neue Therapien – etwa mit JAK-Inhibitoren oder Kombinationen aus topischen, systemischen und device-gestützten Verfahren – erweitern das Feld ständig.
Wer in der Haardiagnostik arbeitet, steht deshalb nie still. Es ist ein Fach, das ständiges Lernen, interdisziplinäre Zusammenarbeit und echtes Interesse am Menschen verlangt. Und genau das macht es so besonders.
Im Alltag überschreitet man ständig Fachgrenzen, entwickelt kreative Lösungen und bewegt sich in einem hochspannenden, dynamischen Gebiet. Ein Berufsfeld, das herausfordernd und spannend ist.
Dieser Artikel wurde verfasst von Dr. Karin Beyer, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie
